Die USA bzw. Kanada und die EU (vor allem Großbritannien) könnten von TTIP und CETA profitieren, aber die Entwicklungsländer werden verlieren. So lässt sich der Vortrag von Henning Hintze (Attac München) zusammenfassen, den er am 13. April in Peißenberg auf Einladung des „Stoppt TTIP/CETA/TISA-Bündnisses“ Weilheim-Schongau gehalten hat.
Das ist kein Wunder, denn die armen Länder sitzen ja bei den Verhandlungen über die bilateralen Abkommen zwischen EU und Kanada (CETA) bzw. EU und USA (TTIP) überhaupt nicht mit am Tisch. Ihre Interessen werden nicht berücksichtigt. Die Einkommen sinken, wenn zum Beispiel Kleinbauern und -produzenten globale Mindeststandards nicht erfüllen können und ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren: Sie sind – übrigens auch in Europa – den härteren Wettbewerbsbedingungen nicht gewachsen. Darüber hinaus lenken die in den bilateralen Abkommen vereinbarten niedrigen Zölle und Handelserleichterungen die Warenströme weg von den Drittstaaten. Denn mehr Handel zwischen der EU und den USA führt tendenziell zu weniger Handel mit Drittländern: Wenn der italienische Wein billiger wird, verdrängt er bei den amerikanischen Konsumenten den Wein aus Chile.
Es war Barack Obama, der die Idee zu TTIP hatte. Ihm gelang es, Angela Merkel davon zu überzeugen, dass Deutschland und Europa Vorteile davon haben würden. Dies sollte eine Untersuchung des konservativen ifo-Instituts in München überprüfen, die jedoch nicht zu einem überzeugenden Ergebnis führte: Langfristig wurden durch TTIP nur 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze für Deutschland und 69.000 für die USA prognostiziert.
Wenige Jahre später erhielt das gleiche Institut unter dem gleichen Studienleiter einen neuen Auftrag und fand – obwohl sich an den Bedingungen nichts geändert hat – heraus, dass dank TTIP in Deutschland 180.000 und in den USA mehr als eine Million zusätzliche Arbeitsplätze entstehen würden. Drittstaaten müssten allerdings mit langfristigen Realeinkommensverlusten von bis zu zwei Prozent rechnen. Diese Einbußen seien jedoch angesichts des hohen Gesamtwachstums im globalen Süden von vier Prozent jährlich zu vernachlässigen.
Ein kritischer Kommentar zu dieser Studie mit dem Titel „Wunschdenken statt zeitgemäßer Wissenschaft“, der 2015 von Greenpeace, Brot für die Welt und dem Forum Umwelt und Entwicklung herausgegeben wurde, nennt so eine Aussage „zynisch“. Das Gleiche gilt für die Annahme, dass TTIP in Kenia den Tourismus beflügeln wird, „weil höhere Einkommen in EU und USA eine höhere Nachfrage nach Fernreisen generiert (sic!)“ (Ifo-Studie 2015, S. 82).
Henning Hintze konnte am Beispiel Namibia anschaulich machen, was eine Einkommenseinbuße für die große Mehrheit, die dort am Existenzminimum lebt, bedeutet. Wer kann es diesen Menschen verübeln, wenn sie ihr Heil in der Flucht ins reiche Europa suchen? Er fand es unverständlich und kurzsichtig, dass Europa seinen Reichtum auf Kosten der armen Länder vergrößern will. Dabei hat sich die EU im Lissabon-Vertrag verpflichtet, die Menschenrechte auch in ihrer auswärtigen Politik zu achten und zu fördern. Wie lässt sich das mit TTIP und CETA vereinbaren?
Freihandelsabkommen schaffen Fluchtursachen. Das zeigen auch die Erfahrungen mit den EPAs (Economic Partnership Agreements = Wirtschaftspartnerschaftsabkommen), die die EU seit Jahren ohne großes Medieninteresse mit afrikanischen Staaten aushandelt. Die ökonomisch schwächeren Partner müssen ihre Märkte für die Überschussproduktion der EU zu öffnen, ohne aber ihrerseits Produkte exportieren zu können. Trotzdem unterzeichnen sie das Abkommen, wenn ihnen Handelsnachteile zum Beispiel beim Export ihrer Rohstoffe angedroht werden.
Der Begriff „Freihandel“ ist irreführend. Es geht nur am Rande um die Senkung von Zöllen. Noch wichtiger ist bei TTIP die „regulatorische Zusammenarbeit“, die den USA das Recht gibt, alle Gesetzesvorhaben innerhalb der EU zu verhindern, die vielleicht zu einem Handelshemmnis werden könnten. Das bedeutet eine Schwächung demokratischer Strukturen. Unverzichtbar ist auch der Investorenschutz, den Schiedsgerichte gewährleisten sollen und den Heribert Prantl, Chef-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, eine „Perversion rechtsstaatlichen Denkens“ nennt. Der Deutsche Richterbund lehnt die Einrichtung eines Investitionsschiedsgerichtshofs ab, weil der mit EU-Gesetzen nicht vereinbar und in einem Land mit einem funktionierenden Rechtssystem überflüssig ist.
Hintze wies darauf hin, dass TTIP noch lange nicht fertig ausgehandelt ist. Aber CETA, das Abkommen mit Kanada, muss nur noch in die EU-Amtssprachen übersetzt werden. Anschließend wird der Ministerrat entscheiden, ob der Vertrag unterzeichnet und vorläufig angewandt werden soll. Dann stimmt das Europäische Parlament über den Vertrag ab. Änderungen sind nicht möglich. Die Parlamentarier können nur mit Ja oder Nein stimmen. Erst danach beginnt – falls sie zugelassen wird – die Ratifikation in den Mitgliedstaaten.
Jetzt geht es darum, Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Sie müssen erkennen, dass es breiten Widerstand in der Bevölkerung gibt, quer durch die Parteien. Deshalb ist in Hannover für den 23. April, einen Tag bevor Obama und Merkel zur Eröffnung der Messe erwartet werden, eine große Demonstration gegen TTIP und CETA geplant.
Doch auch auf juristischer Ebene wird gekämpft: Sobald der Ministerrat CETA vorläufig in Kraft gehen lässt und wenn das Abkommen Schiedsgerichte vorsieht, wird eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werden von Marianne Grimmenstein-Balas, einer Musiklehrerin aus Lüdenscheid, die unterstützt wird von dem Bielefelder Jura-Professor Andreas Fisahn.
So ist CETA vielleicht doch noch zu verhindern.
Lucia Egner hat vor Beginn des Vortrags eine Aktion des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) vorgestellt. Die beiden Organisationen, die beide Mitglied des „Stoppt TTIP/CETA/TISA“-Bündnisses Weilheim-Schongau sind, sammeln Geld zum Aufbau einer kleinen Molkerei in Burkina Faso, die den Kleinbauern helfen soll, mit dem billigen Import-Milchpulver zu konkurrieren, das aus der Überproduktion der EU stammt. Am Ende des Abends lagen 540 Euro im Körbchen.