Tempo 30 – Das neue Verkehrskonzept?

 

In der letzten OHA-Ausgabe, stellte Bundestagskandidatin Dr. Maiken Winter die Wahlkampfkampagne der ÖDP „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“ im Interview vor.

Die Umweltinitiative Pfaffenwinkel befragte dazu die Bundestagskandidaten der CSU, SPD, FDP, DIE LINKE, B90/Grüne, Bayernpartei, Piratenpartei und AFD. Die Antworten der vier Bundestagsabgeordneten, die auf unsere Anfrage geantwortet haben, sind hier abgedruckt.

Alexander Dobrindt
Bundestagskandidat der CSU

UIP: Herr Dobrindt, die ÖDP Weilheim-Schongau hat ihren Bundestagswahlkampf gestartet mit der Kampagne „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“. Was halten Sie davon?

Alexander Dobrindt: Richtig ist, dass gerade schwächere Verkehrsteilnehmer wie Ältere und Kinder besonderen Schutz im Straßenverkehr brauchen. Deshalb haben wir mit der Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), die Mitte Dezember 2016 bundesweit in Kraft getreten ist, für mehr Verkehrssicherheit gesorgt. Straßenverkehrsbehörden können künftig ohne größere bürokratische Hürden Tempo 30 vor Grundschulen, Kindergärten oder Altenheimen auch an Hauptverkehrsstraßen streckenbezogen anordnen.

Bisher durften die Straßenverkehrsbehörden auf Hauptverkehrsstraßen nur bei Nachweis einer ungefähr um ein Drittel über dem Normalfall liegenden besonderen Gefahrenlage streckenbezogen Tempo 30 anordnen – z. B. durch Nachweis eines Unfallschwerpunktes. Diese hohe Anforderungshülle ist nun entfallen.

 

Reinhard Böttger, Bundestagskandidat DIE LINKE

 

UIP: Herr Böttger, die ÖDP Weilheim-Schongau hat ihren Bundestagswahlkampf gestartet mit der Kampagne „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“. Was halten Sie davon?

Reinhard Böttger: Generell bin ich für 30 km/h Zonen in Wohnbereichs-Ortsteilen. Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer, einschließlich der Senioren, Kinder und Behinderten ist das Wichtigste. Daneben ist es an Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern sinnvoll „verkehrsberuhigte Bereiche“ einzuführen mit geringer Geschwindigkeitsvorgabe. Auch eine weitere Möglichkeit kommt für mich in Betracht: Shared Space = gemeinsamer Raum für gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer, ohne Zeichen und Markierungen, wobei die Vorfahrtsregel weiterhin Gültigkeit besitzt. In vielen Gemeinden wäre es wünschenswert in der Ortsmitte und deren Umgebung 30 km/h Zonen oder andere „verkehrsberuhigte“ Zonen einzurichten.

Ich kann mir auch 30 km/h Zonen auf bestimmten Bundesstraßen im Ort vorstellen, um den Durchgangsverkehr auf außerörtlich bestehende „Umgehungen“ zu lenken. Das beste Beispiel dafür ist die Ortsdurchfahrt B472 Huglfing/Oberhausen. Die Möglichkeit zur Umfahrung besteht auf der B2 und den Staatstraßen 2057/2058, sogar mit Zeiteinsparungen. Jedoch bedarf es auf dieser Umgehung einige Verbesserungen zur Verkehrssicherheit aller Bürger.

Die Kosten, die für die Sicherheitsmaßnahmen entstehen, können sich Bund und Länder aufteilen, wenn sie auf neue, oft unnötige Neubaumaßnahmen von Bundesstraßen verzichten.

Die Umweltinitiative Pfaffenwinkel e.V. (UIP), deren Mitglied ich bin, hat beim Bürgerentscheid für den naturschonenden Ausbau und der Verkehrsberuhigung der Bahnhofstraße in Peiting plädiert. Ich war einer der Initiatoren dieser Vorschläge. Der von der Gemeinde geplante schnellspurige Ausbau wird in einiger Zeit reformbedürftig sein, wie bereits der dortige Kreisverkehr.

 

Dr Gabriela Seitz-Hoffmann
Bundestagskandidatin B90/Grüne

UIP: Frau Seitz-Hoffmann, die ÖDP Weilheim-Schongau hat ihren Bundestagswahlkampf gestartet mit der Kampagne „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“. Was halten Sie davon?

Dr. Gabriela Seitz-Hoffmann: Liebe UIP,

der Slogan der ÖDP „Mensch vor Auto – Tempo 30 innerorts“ klingt ja erstmal sehr schön. Aber was bedeutet er? In jedem Auto sitzt – auf alle Fälle bis es selbstfahrende Autos gibt – immer ein Mensch. Also „Mensch VOR Mensch“? Es ist nicht das „Auto“, sondern immer der Mensch, der am Steuer sitzt, und durch unverantwortliche Geschwindigkeit das Leben seiner Mitmenschen gefährdet. Das gleiche gilt im Übrigen für Motorradfahrer und für Radfahrer. Auch hier ist es nicht das Gefährt, das gefährlich ist, sondern immer der Pilot. Und selbst Radfahrer sind in Tempo-30-Zonen oft zu schnell unterwegs. Also fände ich einen Aufruf besser, der auf die Achtsamkeit der Menschen untereinander abzielt. Achte den Anderen, gefährde ihn nicht, genauso wie Du selbst nicht gefährdet werden willst. Was brächte also eine Tempobeschränkung auf 30 km/h innerhalb der Ortschaften? Und ist sie durchsetzbar? Ich denke Menschen achten dann Vorschriften mehr, wenn sie deren Sinnhaftigkeit verstehen. Für das gesamte Ortsgebiet Tempolimits vorzugeben, ist m.E. nicht der richtige Weg. Es gibt Untersuchungen, dass in Tempo-30-Zonen zumeist die Bewohner solcher Zonen in erschreckend hohem Maß an Geschwindigkeitsüberschreitungen beteiligt sind. Auch vor Schulen, Kindergärten, Seniorenheimen werden Tempo-30-Zonen regelmäßig nicht beachtet. Ob sich das durch ein generelles Tempolimit ändern lässt, wenn jetzt bereits die wenigen Beschränkungen ignoriert werden? Brauchen wir wirklich noch mehr Verbote und Gebote? Mein Appell: Ich wünsche mir den „vernünftigen“ Auto-, Motorrad-, und Radfahrer, der seine Geschwindigkeit der Situation anpasst, der sich an vorhandene Beschränkungen hält, der achtsam mit sich und den anderen Verkehrsteilnehmern umgeht. Da helfen dann oft auch Leuchtschilder, die die eigene Geschwindigkeit anzeigen aber vor allem mehr Empathie und ab und zu Nachdenken . Jeder kennt das: Der Autofahrer schimpft über die Radler, die Radler schimpfen über die Fußgänger und die Autofahrer und die Fußgänger schimpfen über die beiden ersten. Sich das ab und zu bewusst zu machen, wenn man selbst der Autofahrer, oder der Radfahrer, oder der Fußgänger ist, hilft sicher mehr als noch mehr Verbote.

 

Enrico Corongiu
Bundestagskandidat SPD

 

UIP: Die ÖDP Weilheim-Schongau hat ihren Bundestagswahlkampf gestartet mit der Kampagne „Mensch vor

Auto – Tempo 30 innerorts“. Was halten Sie davon?

Enrico Corongiu: Eine Ausdehnung von Tempo 30 auf alle innerörtlichen Straßen führt nicht automatisch zu einer Emissionseinsparung und der nötigen Verkehrssicherheit. Wenn ein Tempo-30-Limit den Verkehr derart verlangsamt, dass es zu mehr Staus und verstopften Straßen kommt, reduziert das nicht den Verbrauch und erhöht zudem den CO2-Ausstoß. Auch sehe ich die Gefahr, dass viele Autofahrer von den großen Verkehrsachsen auf die Nebenstraßen ausweichen, da die Zeitersparnis auf den Hauptstraßen wegfällt. Umgekehrt formuliert, droht mehr Verkehr in Wohngebieten, was sich wiederum negativ auf die Verkehrssicherheit und die Lärmbelastung auswirkt.

 Die deutschen Gemeinden und Städte sind zu verschieden, als dass eine bundesweite Regelung Abhilfe schaffen könnte. Kommunen wissen am besten, wo eine Verlangsamung des Verkehrs angebracht und notwendig ist. Mit der jüngsten Gesetzesnovelle der Straßenverkehrsordnung auf Bundesebene, können Länder und Kommunen zukünftig leichter Tempo-30-Regelungen selbst durchsetzen und müssen somit nicht mehr nachweisen, dass es sich bei dem jeweiligen Streckenabschnitt um einen Unfallschwerpunkt handelt. Die Gemeinden und Städte herhalten hierdurch mehr Entscheidungsfreiraum, was die zielgerichtete Entschärfung möglicher Gefahrenstellen wesentlich erleichtert. Nahe liegend sind Tempo 30 in Wohngebieten, vor Schulen, Altersheimen und Kliniken oder überall dort, wo der bauliche Charakter der Straße dies unterstützt. Hierdurch schafft man ein Plus an Sicherheit und Lärmschutz.

 Ich favorisiere vielmehr feste Tempozonen. In meiner Heimatgemeinde aber auch in Nachbarorten wurden derartige Zonen bereits etabliert. Zahlreiche Temposchilder können abgebaut und der Schilderwald reduziert werden. Welche Straßen zu Wohngebieten gehören und welche Straßen Vorfahrts- und Hauptstraßen sind, sollte aber nach dem Grundsatz der Subsidiarität vor Ort und nicht auf Bundesebene entschieden werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

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